Gewerkschaften sprechen schon von einem "Klima der Angst", weil in einer ständig kontrollierten Arbeitsatmosphäre ein freies, ungestörtes Arbeiten nicht mehr möglich ist.
Für die betroffenen Mitarbeiter – wie für alle Arbeitnehmer – stellt sich nach den publik geworden Praktiken die Frage nach den rechtlichen Grenzen und der möglichen Abwehr derartiger Spitzelattacken.
Immer mehr Kontrolle aufgrund neuer technischer Möglichkeiten
Im Arbeitsalltag häufen sich die Fälle, in denen Arbeitnehmer zufällig entdecken, dass sie Opfer umfassender und regelmäßiger Kontrolle sind. So wurde das E-Mail-Konto einer führenden Mitarbeiterin einer Großbank in Frankfurt regelmäßig, fast täglich von ihrem Vorgesetzten kontrolliert. Die im E-Mail-Programm vorgesehene Möglichkeit des externen Zugriffs auf das Konto war freigeschaltet, der Vorgesetzte las aus Neugier oder Überwachungswahn jede E-Mail mit. Darin ist ein rechtswidriges Vorgehen zu sehen, weil der Mitarbeiterin die Privatnutzung des E-Mail-Kontos gestattet war.
Die Überwachung flog auf, weil der Vorgesetzte sich nicht bremsen konnte und während einer krankheitsbedingten Abwesenheit der Mitarbeiterin auf eine Privatmail antwortete. Das Vertrauensverhältnis war nach dem gezeigten Verhalten des Vorgesetzten so nachhaltig gestört, dass die Mitarbeiterin gegen Zahlung einer spürbaren Abfindung aus dem Arbeitsverhältnis ausstieg.
Natürlich muss es ein Arbeitgeber nicht hinnehmen, dass Mitarbeiter in die Kasse greifen, Waren unterschlagen oder Telefon, Internet und Dienstwagen exzessiv privat auf Kosten des Arbeitgebers nutzen. Soweit der konkrete Verdacht einer strafbaren Handlung oder einer anderen schweren Verfehlung besteht, ist es dem Arbeitgeber gestattet, Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Der Arbeitgeber darf also bei Vorliegen eines Verdachts in Ansätzen überprüfen und kontrollieren. Wenn weniger einschneidende Mittel zur Aufklärung des Verdachts ausgeschöpft sind, ist auch eine verdeckte, heimliche Videoüberwachung zulässig. Bestätigt sich der Verdacht, kann der Arbeitgeber sogar die Kosten der Überwachungsmaßnahme, also den Einsatz von Detektiven oder Kameras, von den entsprechend pflichtwidrig handelnden Arbeitnehmern ersetzt verlangen. Dies hat das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz in einem Urteil vom 10. Mai 2007 entschieden (Az: 11 Sa 167/079).
Der Überwachung sind klare Grenzen gesetzt: Das Persönlichkeitsrecht hat Vorrang
Nicht zulässig ist es aber, alle Arbeitnehmer unter einen Generalverdacht zu stellen und vollumfänglich zu überwachen. Die moderne Technik bietet zwar viele Ansatzpunkte für eine umfassende Kontrolle. Navigationsgeräte im Dienstwagen sind für den Fahrer nicht nur eine Orientierungshilfe. Sie zeichnen beispielsweise auch Bewegungs- und Aufenthaltsdaten umfassend auf, die zur Überwachung der Mitarbeiter herangezogen werden können. Diese Erfahrung machte ein Außendienstmitarbeiter, der von seinem Vorgesetzten zur Rechenschaft gezogen wurde und erklären musste, ob er, wie behauptet, einen längeren Termin beim Kunden hatte oder etwa im Anschluss einen Einkauf im Baumarkt während der Arbeitszeit erledigt hat.
Ähnliche Standortbestimmungen und Bewegungsmuster können auch aufgrund der Sendedaten von Mobiltelefonen und Blackberrys erstellt werden. Das verlockende technische Überwachungspotential darf aber nicht unkontrolliert eingesetzt und ausgewertet werden.
Im Regelfall gehen die Schutzinteressen der Arbeitnehmer, insbesondere deren Persönlichkeitsrechte dem Informationsinteresse der Arbeitgeber vor. Generalüberwachungen wie sie jetzt im Einzelhandel bekannt wurden, sind rechtswidrig – die betroffenen Mitarbeiter haben einen Anspruch auf Unterlassung solcher persönlichkeitswidriger Überwachungsmaßnahmen und können bei eingetretenen Verletzungen die Beseitigung diffamierender Unterlagen oder den Widerruf falscher Verdächtigungen verlangen. Der Arbeitgeber ist verpflichtet, aufgenommene Filme, Tonbänder oder sonstig erhobene Daten über den Arbeitnehmer zu löschen oder zu vernichten.
Dieser Unterlassungsanspruch besteht auch vorbeugend, wenn der Eingriff etwa bei der Installation einer Videoüberwachungsanlage unmittelbar droht. Bei erheblichen Verstößen gegen das Persönlichkeitsrecht kann ein Arbeitnehmer auch ein Zurückbehaltungsrecht seiner Arbeitsleistung geltend machen – ohne den Anspruch auf Vergütung zu verlieren – oder eine außerordentliche Eigenkündigung aussprechen. Als finanziellen Ausgleich können Arbeitnehmer gegebenenfalls Schadensersatz und Schmerzensgeld erhalten. Datenschutzbestimmungen sanktionieren Missbrauchshandlungen von Arbeitgebern mit einem Bußgeld von bis zu 250.000 Euro – davon hat ein Arbeitnehmer (finanziell) zwar nichts, das Bußgeld sollte aber Eingriffen in der Zukunft Einhalt gebieten.
Arbeitnehmer sind Spitzelattacken also nicht rechtlos ausgesetzt, sie können sich zur Wehr setzen. Wird einem Beschäftigten ein Verstoß bekannt, kann er juristisch vorgehen. Konkrete Schutzmaßnahmen im Vorfeld lassen sich am effektivsten gemeinsam, mit Hilfe eines Betriebsrats, durchsetzen. Ein Betriebsrat kann den Arbeitgeber zwingen, technische Überwachungen durch Kameras, Software oder Sendedaten verbindlich und transparent zu regeln oder bei Zuwiderhandlungen durch Anrufung des Arbeitsgerichts verbieten lassen. Sind in einer Firma mehr als fünf Arbeitnehmer beschäftigt, sollte also in jedem Fall eine Arbeitnehmervertretung gewählt werden. So kann der Schutz vor Überwachung der Beschäftigten effektiv gewährleistet werden.
Der Autor
Rechtsanwalt Peter Krebühl
Pflüger Rechtsanwälte GmbH
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