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Hebesatz - wie Gemeinden um Unternehmen werben

Palmen wachsen nicht an der Nordsee, trotzdem gab es dort bis 2004 eine richtige Oase: Norderfriedrichskoog. Wen das Finanzamt plagte, konnte dort ein wenig verschnaufen - mit einem Hebesatz von null Prozent verlangte die Gemeinde von ihren Unternehmen keine Gewerbesteuer.


Und sie kamen scharenweise: Siemens, Lufthansa oder die Deutsche Bank eröffneten an der Nordsee Filialen, um dem Fiskus ein Schnippchen zu schlagen - rund 460 Unternehmen gründeten in der Steueroase mit 70 Einwohnern eine Briefkastenfirma …

Doch im Dezember 2003 änderte der Gesetzgeber das Gewerbesteuergesetz - die Oase wurde fast trocken gelegt, weil seitdem jede Gemeinde mit einem Mindesthebesatz von 200 Prozentpunkten Gewerbesteuer einfordern muss.

Darum geht's

Mit dem Hebesatz haben Gemeinden ein Instrument, um ihre Einnahmen aus der Gewerbesteuer zu bestimmen. Ein hoher Hebesatz führt zu höheren Einnahmen, was angesichts prekärer Haushalte attraktiv sein kann, aber auch potentielle Investoren abschreckt. Daher sind niedrige Hebesätze ein Mittel der Wirtschaftsförderung, um mit diesem Standortvorteil Unternehmen zu werben.

Das kann zu einem heftigen Wettbewerb unter Kommunen führen, wie das Beispiel Frankfurt zeigt: Die Deutsche Börse AG beabsichtigt, mit fast allen 2000 Mitarbeitern in das benachbarte Eschborn umzuziehen. Das Unternehmen zahlte bisher den größten Teil der Gewerbesteuer in Frankfurt; laut Oberbürgermeisterin Petra Roth gehen der Stadt im Jahr nun 50 Millionen Euro verloren. Der Grund für den Umzug: Der Hebesatz der Gewerbesteuer liegt in Eschborn bei 280 Prozentpunkten, in Frankfurt dagegen bei 460 Prozentpunkten. Voraussichtlich kann die Deutsche Börse AG mehr als 20 Millionen Euro sparen, wenn sie ihre Gewerbesteuer in Eschborn bezahlt. Diesen Vorgang nennt die SPD-Politikerin Andrea Ypsilanti "interkommunalen Kannibalismus", weil hier ein Steuerwettbewerb in Gang gesetzt wird, der am Ende nur Verlierer kennt.

Was verbirgt sich also hinter dem Begriff Hebesatz? Er ist die Stellgröße, mit der Gemeinden festlegen können, wie hoch ihre Einnahmen aus der Gewerbesteuer ausfallen. Das Gewerbesteuergesetz regelt seit 2004: Der Hebesatz "beträgt 200 vom Hundert, wenn die Gemeinde nicht einen höheren Hebesatz bestimmt hat" (§ 16 Abs. 4 S. 2 GewStG). Das Landesamt für Datenverarbeitung und Statistik in Nordrhein-Westfalen hat für 2006 eine große Bandbreite bei den Hebesätzen festgestellt:

  • 782 Gemeinden liegen mit ihrem Hebesatz zwischen 200 und 299 Prozentpunkten.
  • 10.722 Gemeinden haben den Hebesatz zwischen 300 und 399 Prozentpunkten festgelegt.
  • 763 Gemeinden arbeiten mit einem Hebesatz zwischen 400 und 499 Prozentpunkten.

Großstädte wie Leipzig (460 Prozentpunkte) oder München (490 Prozentpunkte) liegen mit ihren Hebesätzen an der Spitze, eine kleinere Stadt wie Weimar setzt den Hebesatz mit 380 Prozentpunkten fest.

So sieht die Praxis aus

Die Ausgangsgröße zur Berechnung der Gewerbesteuer ist der Gewinn aus einem Gewerbebetrieb, der so genannte Gewerbeertrag. Er wird durch Hinzurechnungen und Kürzungen korrigiert:

Hinzurechnungen: Zum Beispiel wird die Hälfte der Dauerschuldzinsen dazugezählt, um in der Tendenz eine Gleichbehandlung von Fremdkapital- und Eigenkapitalfinanzierung zu erreichen. Denn kalkulatorische Zinsen auf das Eigenkapital mindern auch nicht die Bemessungsgrundlage.

Kürzungen: Eine mehrfache Steuerbelastung soll vermieden werden, zum Beispiel kürzt man den Gewerbeertrag um einen Teil des Einheitswertes, der für betriebliche Grundstück gilt. Der Grund: Dieses Grundstück ist bereits mit der Grundsteuer belastet.

Nach diesen Hinzurechnungen und Kürzungen kommt die Steuermesszahl ins Spiel, die für alle Gesellschaftsformen 3,5 Prozent beträgt. Durch Multiplikation mit diesem Faktor ergibt sich der Messbetrag, der wiederum mit dem jeweiligen Hebesatz der Gemeinde multipliziert wird, um die Höhe der Gewerbesteuer zu berechnen. Ein Beispiel soll das verständlich machen, wobei die Steuermesszahl und der Hebesatz durch 100 geteilt werden, weil es sich um Prozentzahlen handelt (als Hebesatz werden 420 Prozentpunkte angenommen):

200.000 Euro  x  0,035  x  4,20 = 29.400 Euro (14,7 Prozent)
Korrigierter Gewerbeertrag x Steuermesszahl x Hebesatz = Gewerbesteuer

Die Gewerbesteuer müssen alle gewerblichen Unternehmen bezahlen, sie fließt ausschließlich in den Haushalt der Städte und Gemeinden. Neben der Grundsteuer ist sie oft die einzige Einnahmequelle, die für deutsche Kommunen sprudelt.

Fazit

Ein Drahtseilakt: Setzt eine Kommune den Hebesatz der Gewerbesteuer zu hoch an, laufen ihr die Investoren davon. Fällt der Hebesatz niedriger aus, fehlen Finanzmittel im kommunalen Haushalt - oder aber Unternehmen werden angelockt, wodurch die Steuereinnahmen wieder steigen … eine Stadt muss da gut die Balance halten. Kritisch ist ein Unterbietungswettbewerb, wie er am Beispiel Frankfurt-Eschborn deutlich wird: Niedrige Hebesätze als Instrument der Wirtschaftsförderung - das kann leicht zu einem Wettlauf werden, den keine Kommune gewinnen kann, weil wichtige kommunale Aufgaben auf der Strecke bleiben.

Ein Beitrag von Ingo Leipner

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