Zunächst zum Begriff: Die Verschuldungskapazität (engl. "Debt Capacity") zeigt Ihnen und Ihren Kreditgebern auf, bis zu welcher Gesamthöhe Ihr Unternehmen in der Lage ist, Kredite nachhaltig problemlos bedienen zu können.
Die Verschuldungskapazität hängt somit von der Bonität, dem aktuellen Verschuldungsgrad sowie der wirtschaftlichen Situation Ihres Unternehmens ab. Vor allem kommt es darauf an, mit welcher Sicherheit (bzw. entsprechend hoher Wahrscheinlichkeit) die zur Bedienung des Fremdkapitals notwendigen, zukünftigen Freien (Free) Cash Flows anfallen. Entsprechend gering sollte aus Bankensicht die Ausfallwahrscheinlichkeit Ihrer Kredite sein.
So ist es einleuchtend, dass ertragsstarke Betriebe sich höher verschulden können als erstachsschwache. Oder andersherum: das Finanzierungspotential ist entsprechend höher, zum Beispiel können neue Investitionen leichter durchgeführt bzw. finanziert werden. Damit erhöht jedes Unternehmen seine langfristige Überlebenschance in zunehmend gesättigten und unsicheren Märkten.
Die Verschuldungskapazität eines Unternehmens ist daher keine abstrakte Rechengröße, sondern eine eminent wichtige betriebswirtschaftliche Kennzahl, zum Beispiel im Rahmen eines Ratings.
Grundsätzlich geht es um das Verhältnis von Fremdkapital zu Eigenkapital in Ihrer Bilanz. Der Verschuldungsgrad gibt Auskunft darüber, wie viel Eigenkapital zur Deckung des Fremdkapitals zur Verfügung steht. In unserem Kontext ist jedoch ist nur das Fremdkapital betroffen, das von Kreditgebern stammt und mit Zinsen und Tilgung zu bedienen ist. Im Regelfall sind das Bankdarlehen und der Kontokorrentkredit sowie sonstige Darlehen, zum Beispiel von Gesellschaftern. (Letztere dürfen im Krisenfall, also bei drohender Zahlungsunfähigkeit, jedoch nicht zurückgezahlt werden).
Was bedeutet "nachhaltig"?
Das grundsätzliche Problem jedes Bankers ist, dass er Ihnen heute einen Kredit gewähren soll, den Sie in der Zukunft zurückzahlen, als "Sicherheit" dafür dient jedoch die Bonität Ihrer (nicht selten asbach-uralten) Bilanzen!
Deshalb schauen Banker heute vor allem auf Ihre zukünftigen Erwartungen, die Sie mit möglichst viel Plausibilität darstellen und näher erläutern sollten. Bei der Beurteilung des zukünftigen Free Cash Flows kommt es daher auf entsprechende Nachhaltigkeit an. Das bedeutet, Sie müssen alle aus heutiger Sicht bekannten und realistisch zu erwartenden Einflussfaktoren bei den Kosten (vgl. steigende Energiepreise!) berücksichtigen, andererseits dürfen Sie zukünftige Ertragssteigerungen jedoch nur dann ansetzen, wenn sie als überwiegend wahrscheinlich anzusehen sind. "Nachhaltig" erfordert also, dass Ihre Free Cash Flows über die Jahre hinweg stabil ausfallen und Schwankungen rein saisonal erklärbar sind.
Die Berechnung
So gehen Sie vor:
Nehmen Sie Ihre Jahresplanung (SOLL) und Ihre letzte BWA (Betriebswirtschafliche Auswertung) (IST) zur Hand und machen Sie folgende einfache Rechnung (Größen immer auf Jahresbasis, die unterjährige BWA entsprechend hochrechnen):
Operatives Ergebnis vor Abschreibung, Zinsen und Steuern (EBITDA)
- durchschnittliche Ertragssteuern
- Ersatzinvestitionen (rein kalkulatorisch)
- entnommene Gewinne (z.B. Dividenden)
= betrieblicher Free Cashflow
x Faktor 5,9 (entspricht mathematisch 7 Jahren Tilgung incl. rechnerischer Abzinsung)
= Verschuldungskapazität
Ganz wichtig: Nehmen Sie als Basis nicht einfach die letzte Zeile Ihrer BWA, sondern rechnen Sie sowohl bei Erträgen wie beim Aufwand alles heraus, was als außerordentlich zu betrachten ist (z.B. Versicherungsentschädigungen oder Gerichtskosten, die nur wegen eines besonderen Falles angefallen sind). Filtern Sie das rein operative Ergebnis heraus, also normale Erträge abzüglich normale Aufwendungen, die bei Ihrem Kerngeschäft anfallen (übrigens: "normal" ist ein relevanter Begriff aus der modernen Kostenrechnung).
Bei den Steuern sollten Sie nicht die letzte Steuererklärung zu Grunde legen, sondern die um Sondereffekte bereinigte durchschnittliche Belastung mit Ertrags- und Gewerbesteuern errechnen. Fragen Sie hier Ihren Steuerberater.
Als Ersatzinvestitionen sollten Sie den Betrag festlegen, den Ihr Unternehmen benötigt, um technisch immer auf dem neuesten Stand zu sein ("state of the art2). Ein langfristig denkender Spediteur zum Beispiel orientiert sich hier an den Preisen der aktuell modernsten Fahrzeuge. Diese Ersatzinvestitionen fallen unabhängig von den Abschreibungen an, die sich nur an den bisher aktivierten Anlagegütern orientieren, zudem sind hierfür fiskalische und weniger betriebliche Maßstäbe relevant.
Achtung: Wenn Sie ein Einzelunternehmen führen und sich kein offizielles Geschäftsführergehalt auszahlen, sondern vom Gewinn leben, müssen Sie Ihr EBITDA vorher um einen sogenannten kalkulatorischen Unternehmerlohn kürzen. Dieser sollte in etwa einem vergleichbaren GmbH-Geschäftsführergehalt (Bruttoaufwand) Ihrer Größe und Branche entsprechen.
Die hier rein kalkulatorisch unterstellten sieben Tilgungsjahre sind in diesem Zusammenhang eine übliche Betrachtungsweise, die im Einzelfall natürlich über-, eher jedoch unterschritten werden kann.
Ergebnis
Bei diesen Zahlen (in Tausend Euro) errechnet sich somit folgende Verschuldungskapazität:
100 operatives EBITDA (evtl. gekürzt um kalkulat. U-Lohn)
- 10 durchschnittliche Ertragssteuern
- 10 Ersatzinvestitionen (rein kalkulatorisch)
- 0 entnommene Gewinne (z.B. Dividenden)
= 80 Free Cash Flow
x 5,9
= 472 maximal vertretbare Verschuldung mit Krediten
Wenn Sie also langfristig nachhaltig ein operatives EBITDA von 100.000 Euro erwirtschaften und nicht beabsichtigen, Gewinne zu entnehmen, dürfen Sie aus betriebswirtschaftlicher Sicht bis zu 472.000 Euro an Krediten aufnehmen und bedienen. Die 472.000 Euro müssen dabei nicht alle von der Bank kommen, darunter können sich auch Gesellschafterdarlehen befinden.
(Wenn Sie jedoch in dem Beispiel damit rechnen, jedes Jahr im Schnitt 20.000 Euro Gewinne zu entnehmen bzw. entsprechende Dividenden auszuschütten, dann reduziert sich Ihre Verschuldungskapazität auf 354.000 Euro).
Noch ein wichtiger Begriff: Effektivverschuldung (bei Banken)
Tipp: Wenn Sie nun diese Rechnung mit Ihren Zahlen aufmachen, berücksichtigen Sie bei Ihrem Kontokorrentkredit nicht den aktuellen Stand sondern die gesamte KK-Linie, die Ihnen Ihre Bank bzw. Ihre Banken einräumen. Bei den rückzahlbaren Darlehen hingegen gehen Sie von den aktuell verbuchten Restständen aus. Die Summe aus KK-Linie und Ist-Ständen bei den Darlehen entspricht aus Bankensicht Ihrer "Effektivverschuldung". Dann gibt es im Bankgespräch keine Missverständnisse über Ihre Verschuldung..
Sollte Ihr operatives EBITDA in den nächsten Jahren über Erwarten anders ausfallen als geplant, ändert sich natürlich entsprechend auch Ihre Verschuldungskapazität. Laufen die Geschäfte schlechter als geplant, reduziert dies Ihre Kapazität. Mancher Unternehmer fällt dann aus allen Wolken, wenn seine Bank ihm Kredite kündigt oder reduziert (in der Regel den Kontokorrentkredit).
Überprüfen Sie daher ab und an Ihre aktuelle Verschuldungskapazität und werden Sie selbst aktiv, bevor es die Bank tut.
© 2008 by Diplom-Volkswirt Stefan Uhlig ( www.su-consulting.de )