<< Themensammlung Gründung

Selbständigkeit

Bin ich überhaupt der Typ für die Selbständigkeit?

Den allerwichtigsten Tipp, den ich Gründern geben möchte, ist, sich ganz ehrlich und selbstkritisch zu fragen, ob man der Typ für eine selbständige Tätigkeit ist. Fragt vielleicht auch noch Menschen in eurem näheren Umfeld, wie sie das einschätzen. Ich hatte immer schon den Wunsch gehabt, mich selbständig zu machen, habe diesen Wunsch aber schließlich erst nach 15 Jahren beruflicher Erfahrung umgesetzt.

Quelle: iStock / Getty Images Plus

Vor- und Nachteile der Selbständigkeit

Es gibt ganz viele Vorteile: Man kann selbst entscheiden, ist sein eigener Chef. Die Freiheit ist phänomenal. Man kann – zumindest teilweise – wählen, wann und wo man arbeitet. Es gibt viel Gestaltungsspielraum, welche Form von Kunden, Projekten, Aufgaben man angehen möchte. Und: Es besteht die Möglichkeit, etwas von Wert aufzubauen. Gleichzeitig übernimmt man auch viel Verantwortung, für sich selbst, für Mitarbeiter, für Kunden und Projekte. Für mich war zudem ganz wichtig, dass mich keiner mehr bremsen kann, wenn ich an etwas glaube.

Unbestreitbar hat die Selbständigkeit aber auch Nachteile. Die Einkommenssituation ist nicht so gut planbar wie in einer angestellten Tätigkeit. Diese Unsicherheit, dass man nicht genau weiß, wie die Lage in ein paar Wochen oder Monaten aussieht, muss man aushalten können. Außerdem kenne ich keinen Selbständigen, der eine 40-Stunden-Woche hat. Die meisten arbeiten deutlich mehr, was dazu führt, dass das Privatleben häufig zurücksteht - frei nach dem Motto selbst und ständig.

Work-Life-Balance ist für mich Work-Life-Bullshit

In meinem Job gehört es dazu, dass ich ungefähr 50 Prozent der Zeit unterwegs bin. Ich habe aber nicht den Eindruck, dass ich dafür einen Preis bezahle in Bezug auf Beziehungen oder Freundschaften. Warum nicht? Weil ich mir Leute für mein Umfeld aussuche, die bereit sind, dieses Leben mitzutragen. Wenn es aufgrund der vielen Arbeit oder Abwesenheit zu dauernden Konflikten mit Familie und Freunden kommt, macht einen das auf Dauer kaputt.

Wer Wert auf eine ausgewogene Work-Life-Balance legt, sollte angestellt bleiben. Für mich ist Work-Life-Balance ehrlich gesagt Work-Life-Bullshit. Weil es impliziert, dass es ein „gutes Leben“, die Freizeit, und ein „schlechtes Leben“, die Arbeit, gibt. Wenn ich bei meiner Arbeit tolle Menschen treffe und spannende Herausforderungen meistere, dann ist das für mich keine Arbeit im klassischen Sinne. Ich muss mich fragen: Liebe ich das, was ich tue? Ziehe ich daraus Befriedigung? Das sollte sowohl für berufliche wie für private Aktivitäten gelten. Dann ziehe ich aus beidem Kraft. Andernfalls zehrt einen die Selbständigkeit irgendwann auf.

Mit Rückschlägen umgehen

Leider gehören auch Rückschläge zum Dasein eines Selbständigen. Ich habe zum Beispiel einmal sehr viel Geld bei einem deutschen Kreditinstitut verloren, das plötzlich insolvent war. Das war ein großer Schock, und entsprechend hart war das Jahr. Es fühlte sich so ungerecht an, Geld zu verlieren, obwohl wir nicht spekulativ unterwegs gewesen waren und die scheinbar sichere Bank plötzlich einfach weggebrochen ist. Mit solchen Bauchlandungen muss man umgehen können. Ich finde es wichtig, Kraft und Erfahrungen aus ihnen zu ziehen. Der dänische Philosoph Søren Kierkegaard hat gesagt: Man kann das Leben nur rückwärts verstehen, aber leben muss man es vorwärts. Das ist für mich ein ganz wichtiger Leitspruch für die Selbständigkeit. Insgesamt betrachtet würde ich in der Rückschau aber nichts anders machen. Ich habe das Gefühl, dass der Weg, so wie wir ihn gegangen sind, völlig in Ordnung und richtig für uns war.

Die Frage ist ja auch: Was definiere ich als Rückschlag? Wenn Dinge anders laufen als geplant? Das passiert jeden Tag bei einer selbständigen Tätigkeit, gerade an Anfang. Man braucht extrem viel Flexibilität im Kopf für eine Selbständigkeit. Ich kenne niemanden, der sein Geschäft genau im Einklang mit seinem Business Plan hochgezogen hat. Es kommt immer alles ganz anders. Und man muss darauf reagieren, neue Lösungen suchen und kann häufig niemanden um Rat fragen. Gerade zu Beginn gibt es keine etablierten Prozesse. Jeder Schritt, jedes Angebot, jeder Vertrag, jedes Projekt ist Neuland. Die Lernkurve in dieser Zeit ist unglaublich hoch. Es ist aufregend, aber oft auch anstrengend.

Eins ist mir noch wichtig: Gerade in den ersten sechs Monaten wird man häufig von Gedanken über einen möglichen Misserfolg zermürbt. Meine präsenteste Sorge in dieser Zeit war: Dieses Jahr schaffe ich, doch wie wird das nächste? Das blieb so, bis ich lernte, dass die Zeit es bringen wird. Zuversicht, Geduld und vor allem Aktivität sind die besten Helfer gegen solche Zweifel.

Fazit

Selbständig zu arbeiten ist eine ganz großartige Sache! Und ich bin überzeugt, dass es heute leichter ist zu gründen als noch vor 15 Jahren. Es gibt viel institutionelle Hilfe und Beratungsangebote – von Handelskammern, Berufsverbänden, Arbeitsämtern und Medien wie Förderland. Und selbst wenn man nach einiger Zeit feststellt, dass die Selbständigkeit doch nicht das Richtige für einen ist – davon geht die Welt auch nicht unter. Scheitern, beziehungsweise Umwege in der Biographie, werden heute nicht mehr als so negativ empfunden. Obwohl wir in dieser Hinsicht immer noch weit hinter anderen Kulturen zurückliegen, beispielsweise der US-amerikanischen.

Autor: Nadja Kahn

Frau überlegt beim Schreiben
Diese Regeln und Formulierungen helfen

Weiterlesen

Roter Hintergrund Mann mit Smarthone in der Hand
So geht's

Weiterlesen

Sie wollen ein Angebot oder die gratis Teststellung für die Unterweisung?

88 E-Learnings zu den Herausforderungen der aktuellen Arbeitswelt