2. Differenzierung zwischen Täuschung und unrichtiger Aufklärung

Das erste Missverständnis hat seinen Ursprung in einer Vermengung von Fallgruppen. Es sind zwei Fallgruppen zu unterscheiden: Erstens die Haftung für eine vorvertragliche Täuschung und zweitens die Haftung für die Verletzung von vorvertraglichen Aufklärungspflichten.

Die Haftung für eine vor Vertragsabschluss begangene Täuschung ist keine franchisespezifische Rechtsfrage. Es ist nämlich in unserer Rechtsordnung anerkannt, dass ein Vertragspartner nicht durch wahrheitswidrige Behauptungen zum Abschluss des Vertrages bestimmt werden darf, wenn diese Behauptungen Tatsachen betreffen, die für die Willensentscheidung über den Vertragsabschluss objektiv von ausschlaggebender Bedeutung sind.


Die zweite Fallgruppe, also die Haftung für die Verletzung von vorvertraglichen Aufklärungspflichten, ist die im Bereich des Franchising eigentlich interessante Rechtsfrage. Die Besonderheit dieser Fallgruppe liegt darin, dass sich die Haftung nach herrschender Meinung bereits dadurch verwirklichen kann, dass vor Vertragsschluss Umstände verschwiegen werden, die für die Willensbildung des Franchise-Nehmers von Bedeutung gewesen wären. Es wird eine Haftung für ein Unterlassen begründet.

Die beiden Fallgruppen werden selten klar abgegrenzt. Ihre unpräzise Vermischung ist Ursache für oft verschwommene Urteilsbegründungen. Es ist allerdings auch eine Wechselwirkung zwischen den beiden Fallgruppen festzustellen. In Bereichen, in denen eine Aufklärungspflicht besteht, wird angenommen, dass die Täuschung für den Vertragsabschluss von Bedeutung war, weil es sich bei den Sachverhalten, auf die sich Aufklärungspflichten beziehen, regelmäßig um Umstände handelt, die von hoher wirtschaftlicher Bedeutung für den Franchise-Nehmer sind. Klar ist andererseits auch, dass ein Franchise-Geber, der vor Abschluss des Franchise-Vertrages mit dem Ziel täuscht, den Franchise-Nehmer zum Vertragsabschluss zu bewegen, zugleich seine Aufklärungspflichten verletzt.

Während in der Literatur mit Blick auf die Rechtsprechung häufig eher allgemein von den "vorvertraglichen Aufklärungspflichten des Franchise-Gebers" gesprochen wird, um damit (unpräzise) das Gesamtproblem zu bezeichnen, ergibt eine Analyse der Urteile ein anderes Bild: In fast allen Fällen lagen Sachverhalte aus der ersten Fallgruppe zugrunde, in denen also eine reine Täuschung zur Rede stand.

Der Franchise-Geber hatte beispielsweise behauptet, es gebe eine große Zahl erfolgreicher Franchise-Nehmer, was tatsächlich nicht zutraf. Oder es war davon die Rede, dass man als Franchise-Nehmer regelmäßig "viel Geld sicher verdienen" könne, während utopische Umsatzzahlen als "vorsichtige Schätzung" bezeichnet wurden. In einem anderen Fall wurde wahrheitswidrig behauptet, es bestehe ein bundesweites Netz von Master-Franchise-Nehmern und deshalb einen reichhaltigen Erfahrungsschatz.

Ebenso der Fallgruppe der reinen Täuschung zuzuordnen sind falsche Angaben zu der Erprobung und zu dem bisher erzielten Markterfolg des Franchise-Systems oder zu der Frage, ob in dem Einzugsbereich des Franchise-Nehmers bereits Kunden vorhanden sind. Dies gilt auch für die Behauptung, es sei ein bestimmtes Know-how vorhanden und man wolle für den Franchise-Nehmer ein "Handelsvertreterteam aufbauen".

Als haftungsträchtig erwiesen sich (ebenfalls der ersten Fallgruppe zuordenbare) übertriebene Anpreisungen, etwa die Behauptung, der Erfolg sei "praktisch vorprogrammiert", obwohl von 135 Franchise-Nehmern 28 Unternehmen wirtschaftliche Schwierigkeiten hatten oder die Darstellung einer "krisensicheren Zukunft", während in dem Franchise-System tatsächlich erhebliche Schwierigkeiten bestanden. Auch dies sind Fälle der reinen Täuschung, nicht Fälle der Verletzung von Aufklärungspflichten in Form eines Verschweigens von wichtigen Informationen.

In einigen Entscheidungen wird das Bestehen von vorvertraglichen Aufklärungspflichten im Franchising erwähnt, ohne das es angesichts der Täuschung für die Entscheidung darauf angekommen wäre.

Unter einer unpräzisen Vermengung der Fallgruppen sah auch der 8. Senat des OLG München in dem sog. "Aufina" Urteil vorvertragliche Aufklärungspflichten "durch eine Täuschung mit einer geringen oder mit einer irreführenden Scheiterungsquote" verletzt. Diese Vermischung ist ein Ergebnis der Wechselwirkung zwischen den beiden Fallgruppen: Der Hinweis darauf, dass die Täuschung einen Bereich betrifft, in dem Aufklärungspflichten bestanden, lässt aus Sicht der Gerichte mitunter weitergehende Ausführungen zu der Frage, ob die Täuschung für die Willensbildung des Franchise-Nehmers ursächlich war, entbehrlich erscheinen.

Der 5. Senat des OLG München hat der jüngsten Entscheidung derartige Ungenauigkeiten vermieden. Gegenstand dieses Urteils ist ebenfalls eine gezielte Täuschungshandlung seitens des Franchise-Gebers im Bereich der vorvertraglichen Umsatzprognosen, nämlich hinsichtlich der zugrunde liegenden Personalvermittlungszahlen des Pilotbetriebes. Dementsprechend hat das OLG München, ebenso wie das erstinstanzliche Urteil, davon abgesehen, auf das Rechtsinstitut der Aufklärungspflichten abzustellen. Das ist konsequent, denn es kommt nicht auf die Frage an, ob durch die Täuschung zugleich Aufklärungspflichten verletzt wurden, wenn an eine gezielte Täuschung hinsichtlich Tatsachen, die für die Willenserklärung von ausschlaggebender Bedeutung sind, angeknüpft werden kann. Lediglich der Hinweis des OLG München, im Zusammenhang mit der Täuschung werde der Eindruck erweckt, die Zahlen des Pilotbetriebes seien "vollständig und richtig offen gelegt", erinnert an den Aufklärungs- und Offenlegungsgedanken.

 

 

Dr. Patrick Giesler (Stand: Dezember 2004), www.franchiserecht.de

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