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Interview mit Wolfram Friedel, senporta.de

"Eine Wirtschaft ohne Ethik und Maß wird in der Zukunft nicht mehr funktionieren"

Wolfram Friedel hat ca. 20 Berufsjahre in der DDR sowie 20 Berufsjahre in der BRD hinter sich. In beiden Systemen war er selbständig. Mit senporta, einem Hilfe-Portal für betreuende Angehörige, hat sich Friedel neu erfunden. Im Interview erklärt er sein Konzept, spricht über die junge Gründergeneration und erklärt, für welche Ziele sich politisches Engagement heute lohnt.

Will mit senporta betreuenden Angehörigen helfen: Gründer Wolfram Friedel Will mit senporta betreuenden Angehörigen helfen: Gründer Wolfram Friedel

förderland: Hallo Herr Friedel, wie kommt man mit über 60 Jahren auf die Idee, ein eigenes Unternehmen zu gründen?

Wolfram Friedel: Als sich mein Geschäftspartner nach 20 jähriger Zusammenarbeit von mir trennte, stand ich vor der Suche nach einer neuen sinnvollen Aufgabe. Wie bereits einige Male zuvor in meinem Leben, hatte ich die Chance mich "neu zu erfinden".

Genau in dieser Zeit wurden meine Eltern pflegebedürftig und ich wurde damit konfrontiert, kurzfristig die Betreuung und Versorgung meiner 400 km entfernt von mir lebenden Eltern zu organisieren. Bevor ich dies leisten konnte, musste ich mich erst einmal mit dem ganzen Themenkomplex befassen und die nötigen Informationen aus dem Internet zusammentragen. Leider war ich da ziemlich "verloren im Netz" und stand einer unübersehbaren Menge von Informationen gegenüber.

Die wirklich wichtigen und zutreffenden Inhalte konnte ich nur mit größtem Zeitaufwand herausfiltern und erst nach umfangreichen Recherchen war ich in der Lage, meinen Eltern zu helfen. Nachdem ich nun dieses Problem gelöst hatte kam mir die Idee, dieses konzentrierte Wissen auch anderen Betroffenen zur Verfügung zu stellen und über eine spezielle Homepage zugänglich zu machen. - So wurde www.senporta.de geboren und für mich eine neue Aufgabe gefunden.

Was genau bietet senporta.de?

Friedel: senporta ist das erste kostenlose und unabhängige Hilfe-Portal, das speziell ausgerichtet ist auf die Probleme betreuender Angehöriger. Dazu werden die in Deutschland bestehenden Vorschriften, vorhandenen Informationsquellen und Angebote, sowie möglichen Hilfen und Unterstützungen systematisch aufbereitet, übersichtlich organisiert und für den Nutzer auf einfache Art und Weise zugänglich gemacht.

Dieser Fundus an Wissen ist gegliedert in 6 Schwerpunktthemen und rund 100 Ratgeberseiten und wird unterstützt durch Suchatlanten mit über 20.000 Zieladressen, Checklisten zum Ausdrucken und Abarbeiten, zahlreiche Links zu weiterführenden Informationen und speziellen Anbieterseiten.

Ihre Seite lebt von verlässlichen, gut recherchierten Inhalten. Wie stellen Sie deren Qualität sicher?

Friedel: Ausführung, Aktualisierung und Komplettierung unseres anspruchsvollen Projektes liegt in den Händen eines unabhängigen und kompetenten Teams. Durch laufende Recherchen und Abstimmungen mit Verbänden, Organisationen und Leistungsanbietern gelingt es uns, dem Nutzer ständig die neuesten Informationen zugänglich zu machen.

Sie haben senporta.de bereits 2009 gegründet. Seit September 2010 sind Sie mit der Website live. Im Mai 2012 haben Sie einen Relaunch durchgeführt. Was hat sich verbessert? Was sagen die Nutzer?

Friedel: Senporta, ursprünglich eingerichtet als umfassendes Informationsportal für Senioren, wurde in der Praxis fast ausschließlich von betreuenden Angehörigen genutzt. Diese Tatsache war Anlass, die Ausrichtung unseres Portals zu überdenken. Bei der kritischen Überprüfung unserer Website nutzten wir die Erkenntnisse der EKS (Engpasskonzentrierten Strategie nach W. Mewes), die uns den entscheidenden Impuls für einen Relaunch lieferte, nämlich die ausschließliche Konzentration auf die Zielgruppe "Betreuende Angehörige" der über 5 Millionen Betreuungsbedürftigen.

Wie finanziert sich senporta.de? Sie stellen ja alle Informationen für Ihre Nutzer kostenlos zur Verfügung ...

Friedel: Finanziert wird das Projekt noch immer aus meinen privaten Mitteln. Ich bin aber davon überzeugt, dass sich ein auf das Gemeinwohl hin orientiertes Projekt wie dieses durchsetzen wird und wir Sponsoren und Werbepartner finden, die sich auf den Anbieterseiten oder im Sachkontext zielgerichtet darstellen wollen.

Sie waren ja bereits früher in Ihrem Leben selbstständig. Ist es heute leichter beruflich auf eigenen Beinen zu stehen? Was hat sich im Gegensatz zu früher verändert?

Friedel: Mein "Früher" spaltet sich auf in ca. 20 Berufsjahre in der DDR und 20 Berufsjahre in der BRD. In beiden Systemen war ich selbständig und hatte logischerweise mit ganz unterschiedlichen und kaum vergleichbaren Problemen zu tun.

Die entscheidende Zeit war für mich allerdings die Nachwendezeit. Erst hier konnte ich meine unternehmerischen Ambitionen verwirklichen. Wenn Sie mich fragen, was sich grundsätzlich verändert hat, dann möchte ich das an 3 Beispielen aus meiner Vertriebstätigkeit erklären.

Bei der 1990 gegründeten GmbH spielte der Computer noch eine sehr untergeordnete Rolle. Kaufmännische Tugenden waren noch wichtig und geschäftliche Beziehungen pflegte man über Briefkontakte, das Telefon oder persönliche Besuche. 10 Jahre später war die Situation schon ganz anders. Bei der Gründung meiner Handelsniederlassung in China war ein Arbeiten ohne Internet nicht mehr möglich. Sowohl beim Informationsaustausch als auch bei der Beschaffung von Informationen war man hauptsächlich auf dieses neue Medium angewiesen.

Heute, also wieder 10 Jahre später, kann das Internet bereits alleinige Basis geschäftlicher Unternehmungen sein. Leichter ist es aber nicht geworden. Wer mit dem schnellen Entwicklungstempo nicht mehr mithalten kann, dem ständig wachsenden Konkurrenzdruck nicht gewachsen ist oder die vielen neuen Probleme der digitalen Technologie nicht mehr durchschaut, bleibt schnell auf der Strecke.

Verfolgen Sie das aktuelle Gründungsgeschehen in Deutschland? Gibt es Start-ups, Projekte oder Gründer, die Sie in den letzten Jahren besonders beeindruckt haben?

Friedel: Natürlich interessiert mich das Gründungsgeschehen in Deutschland, schließlich habe ich ja selbst immer wieder neue Aufgaben gesucht. Allerdings gilt mein heutiges Interesse vorrangig Projekten, die auf Nachhaltigkeit und Förderung des Gemeinwohls ausgerichtet sind.

Als Beispiel möchte ich 4 Unternehmen nennen, die mich besonders beeindruckt haben: Patagonia (ein Hersteller nachhaltiger Sportgeräte und Bekleidung), die GLS Bank (eine sozial-ökologische Universalbank), VerbaVoice (Gehörlosen-Dolmetscher-Dienst) sowie der dm-Drogeriemarkt (Götz Werner: Initiator der "Dialogischen Führung").

Sie sind in der DDR aufgewachsen und waren nach der Wende politisch engagiert. Für welche Themen lohnt es sich – Ihrer Meinung nach – heute, politisch aktiv zu werden? Sind vielleicht die politischen Rahmenbedingungen für Gründer so ein Thema?

Friedel: Ich versuche eine kurze Antwort, die mir bei der Brisanz dieses Themenkomplexes aber sehr schwer fällt. Rahmenbedingungen waren und sind auch heute für mich - und ich glaube auch für jeden Gründer - eine stabile demokratische Grundordnung, verbunden mit einem verlässlichen Rechtssystem. Diese Werte, von denen ich glücklicherweise sofort nach der Wende profitieren konnte, sollte man nicht als selbstverständlich gegeben betrachten, und deshalb ist es wichtig, dass sich viele Menschen für deren Erhalt engagieren.

Darüber hinaus ist es meiner Meinung nach dringend erforderlich, das gegenwärtige Wirtschaftsmodell zu überdenken. Nur mit einer nachhaltigen und auf das Gemeinwohl ausgerichteten Wirtschaft wird es uns gelingen, die Demokratie zu erhalten. Eine Wirtschaft ohne Ethik und Maß wird in der Zukunft nicht mehr funktionieren, daran sollten Gründer denken, bevor sie beginnen ein neues Unternehmen aufzubauen.

Vielen Dank für das Interview und weiterhin viel Erfolg!

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